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Flut 2002


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Die Bilder zur Reportage

Nun ist es doch die Elbe:
Rekordhochwasser flutet Dresden

Die Szenerie ist gespenstisch: Die Sonne scheint, ab und zu eine weiße Wolke am Himmel, sommerliche Temperaturen. Doch unter diesem Touristenhimmel über Dresden spielt sich die Katastrophe ab: Das Hochwasser der Elbe steigt und steigt. So hoch war es noch nie, seitdem man Buch darüber führt. Acht Meter siebenundsiebzig im Frühjahr 1845 galten als Rekord, den man auch nicht unbedingt toppen wollte. Am Donnerstag (15. August) jedoch stieg das Wasser zusehends - und am Freitag früh war dann nicht nur der Rekord gebrochen, sondern mit über neun Metern auch ein ungeahnter Höchststand der Elbe erreicht.

Viele Dresdner sammeln sich auf dem Altmarkt und an anderen Stellen der Stadt, um aktiv mitzumachen - Schüler, Punks, Arbeiter, Angestellte, Professoren, eine bunte Mischung: Sie füllen Sandsäcke, die dann von den Hilfsorganisationen in der Stadt entlang der Elbe verteilt werden. Manchmal geht es nicht so recht voran: Es fehlt mal Sand, mal mangelt es an Säcken oder Tüten. Doch lange dauern die unfreiwilligen Verschnaufpausen nicht, bis neues Material kommt, dann geht es weiter.

Im Fernsehen reden Reporter, die man den ganzen Tag immer nur an der gleichen Stelle stehen sieht (und die sich am Freitag fast beklagen, dass sie wegen der steigenden Elbe nun auch noch ihre Kamera versetzen mussten!) vom Hochwassertourismus und von Gaffern, die die Hilfskräfte bewundern. Ich bin jeden Tag einige Kilometer gelaufen und habe dergleichen nicht gesehen, im Gegenteil. Selten habe ich diese vor allem bei Sonnenschein heitere Stadt, die ja nicht umsonst "Elbflorenz" heißt und mediterrane Heiterkeit ausstrahlen kann, so bedrückt und ruhig erlebt. Selten sah ich so viele Leute, die sich auf die Lippen bissen, um die Spannung zu unterdrücken. Ja, es gab Menschen unterwegs - aber ganz ehrlich: Haben die Einwohner nicht ein Recht, sich das Schicksal ihrer Stadt anzusehen (zumal viele von ihnen anders als die Hamburger, Kölner, Münchner etc nicht übers Fernsehen mit Bildern versorgt wurden: Es gab in vielen Teilen der Stadt keinen Strom)? Und wenn dann diese Menschen spontan sich um Lastwagen mit Sandsäcken versammeln, um mit anzupacken - dann ist das Wort Gaffer wohl fehl am Platz. Ich erlebte Hunderte berucksackter Hochwasser-Anseher, die Säcke weiterreichten, aber nicht einen Kameramann oder Reporter, der das nach den drei Minuten Liveübertragung getan hätte.

Die bedrückten Dresdner waren zumeist zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs, die Autos in der sonst zur Rush Hour chronisch verstopften Stadt waren deutlich in der Minderzahl. Und das war, wie man neuerdings ja gerne schreibt, auch gut so, denn auf den Straßen waren Konvois von Feuerwehren, Sanitätsautos und Polizeifahrzeugen unterwegs - Wasser pumpen, komplette Krankenhäuser evakuieren, insgesamt über 30.000 Anwohner aus elbnahen und tief gelegenen Stadtteilen evakuieren. Zwei Geräusche dominieren seit Dienstag Dresden fast rund um die Uhr mit nur kleiner nächtlicher Pause: Sirenen der Einsatzfahrzeuge und das Brummen bis Dröhnen der Hubschrauber.

Die Hilfskräfte kommen aus dem gesamten Bundesgebiet - und wir fragen uns immer wieder, wie die sich hier zurecht finden, in der fremden Stadt und im Chaos. Aber irgendwie scheint es zu klappen, und der deutlich verminderte Individualverkehr macht ein Vorankommen ja auch einfacher.

Die Elbe nimmt zu. Stündlich fast werden neue Prognosen errechnet, wie hoch das Wasser noch steigen werde und wann das der fall sein könnte - alles aber stimmt meistens so nicht, was nicht wirklich verwundert: Es fehlt die Erfahrung. Mit Hochwasser hat man gerechnet, bekommt es ja zur Schneeschmelze auch jedes Frühjahr, aber so heftig hat es eben niemand je erwartet.

Dabei pflegen die Dresdner im Prinzip einen vorbildlichen, heute würde man sagen: ökologischen Umgang mit ihrem Fluss. "Seit mehr als 200 Jahren werden die Elbauen von Bebauung weitgehend freigehalten. Heute verbinden sich in Dresden zwei Prinzipien zu einem einzigartigen Hochwasserschutzsystem. Oberstromig vom Stadtzentrum nehmen weite Auen und trocken gefallene Altelbarme eine von Tschechien kommende Flutwelle auf. Unterstromig sorgen zwei Flutrinnen für eine Erweiterung des Stromquerschnitts und bewirken damit einen schnellen und schadlosen Abfluss des Hochwassers. Vor Erreichen der nächsten Stadt wird diese abfließende Welle in einem gegen die Elbe mit einem Deich geschützten großen Retentionsraum erneut gebrochen. Solange dieses System funktionsfähig erhalten wird, führt selbst ein 100jährliches Hochwasser nicht zu einer Flutkatastrophe" lobte noch Dresdens Umweltdezernent Dr. Christian Korndörfer in einem Vortrag bei einem Workshop zum Thema "Vorbeugender Hochwasserschutz auf kommunaler Ebene" im Dezember 2000. Der Vortrag muss überdacht werden, es gibt neuere Referenzwerte als die von 1845.

Irgendwann floss dann auch mehr Wasser in die Keller der in aller Welt berühmten Gebäude wie Semperoper oder die Gemäldegalerie Alte Meister am Zwinger. In den Nachrichten hieß es unisono, dass man "Oper und Zwinger aufgegeben" habe, was abermals großer Quatsch war: Nicht die gesamten Gebäude wurden aufgegeben, sondern lediglich der Versuch, die Keller wasserfrei zu halten. Die Entscheidung fiel sicherlich keinem leicht, aber wenn mehr Wasser in den Keller fließt als man auspumpen kann, ist nicht einmal mehr der Vergleich mit der Arbeit von Sisyphos angemessen. Gepumpt wurde da, wo es Erfolg versprach (und das heiußt: als die Elbwasser nicht mehr so stark drängten, auch wieder in der Oper). "Die Schäden," erzählte mir bei einem Treffen jemand aus der Semperoper, "sind schon jetzt so groß, dass man wahrscheinlich vor Mitte November nicht an die Wiederaufnahme des Spielbetriebs denken kann."

Etwas elbaufwärts im "Drachen", einem Gourmetrestaurant mit Biergarten direkt an der Elbfähre zum gegenüberliegenden Stadtteil Johannstadt, riecht es anders als anderswo: Hier wird draußen gegrillt. Katastrophen-Dekadenz? Nein: Der Strom war ausgefallen und damit das Kühlhaus. Also wurden, bevor man den nicht mehr zu rettenden verderblichen Inhalt wegwirft, kurzerhand die Helfer der Feuerwehr aus Essen eingeladen, die sich zuvor auf der Elbe um den losgerissenen Fähranleger gekümmert hatten - eine willkommene Pause.

Gegen 15 Uhr sah man noch fünf Stufen der Treppe, die sonst vom Elbewanderweg zum Restaurant hoch führen. Angestellte des Restaurants und Stammgäste haben sich versammelt, um zu retten, was zu retten ist: Die Gartenmöbel aus schwerem Teakholz müssen auf höher gelegenes Gelände getragen werden ("Wenn das Wasser bis hierhin kommt, gibt es sowieso kein Restaurant mehr," merkt der Chef des Hauses lakonisch an), die empfindlichen und beweglichen Dinge im Restaurant werden in das höher gelegene Turmzimmer gebracht. Sandsäcke vor den Türen gehören zum Standardprogramm in diesen Tagen, die Menschenketten vom anliefdernden Auto zu den Schwachstellen des hauses sind schnell gebildet. Danach können alle nur noch das Wasser beobachten, das sich unaufhaltlich Stufe um Stufe dem Restaurant nähert. Bei einem Pegelstand um den Jahrhundertflutwert von 1845 wäre alles in Ordnung gewesen - bei 9,40 Metern war es das nicht mehr.

Manche haben mehr Glück: In der Regerstraße nahe dem Blauen Wunder haben die Altvorderen offensichtlich sehr vorausschauend gebaut: Die Häuser liegen in einer Linie, die rund 50 Zentimeter vor den Häusern endet. Hin sind die Gärten - wo bis vor einer Woche Kräuter oder Blumen wuchsen, steht jetzt das Wasser. Ein Hausbesitzer, gerade an der Katastrophe vorbeigeschliddert, bekommt schon wieder Galgenhumor: "Irgendwie auch schön, denn wollte nicht schon August der Starke sein Dresden wie Venedig haben und alles übers Wasser erreichen?"

Ulrich van Stipriaan
Originalbeitrag STIPvisiten · 17. August 2002 Sie wollen helfen?
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